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07.12.2025
04.12.2025 08:50 Uhr

In den Gemeinderat gewählt – gegen den eigenen Willen

Bild: KI/mj (Symbolbild)
In vielen Gemeinden fehlen Freiwillige für Behördenämter. Wer nicht kandidiert, kann trotzdem gewählt – und zum Amtsantritt gezwungen werden.

Als Urs Rüegg im Herbst seinen Rücktritt als Gemeindepräsident von Wil ZH ankündigte, schien die Nachfolgefrage offen. Doch es meldete sich: niemand. Für das Präsidium ging im ersten Wahlgang kein einziger Vorschlag ein. Nach massivem Druck aus der Bevölkerung entschied sich Rüegg zur Rückkehr – wie exklusiv gegenüber zueriunterland24 bestätigt. Ein Zeichen dafür, wie schwer es in gewissen Gemeinden geworden ist, Menschen für kommunale Ämter zu gewinnen.

Immer öfter bleibt am Ende nur eine umstrittene Lösung: Amtszwang. In sieben Kantonen – darunter Zürich, Wallis, Uri, Luzern, Nidwalden, Solothurn und Appenzell Innerrhoden – gilt: Wer gewählt wird, muss das Amt antreten. Auch ohne Kandidatur.

Immer mehr Gemeinden finden niemanden mehr

Das Problem ist schweizweit bekannt. Laut einer Studie der ZHAW School of Management and Law haben rund 49 Prozent der Gemeinden Schwierigkeiten, ihre Exekutivämter zu besetzen. Der Hauptgrund: Die zeitliche Belastung ist hoch, oft nicht vereinbar mit Beruf und Familie. Vor allem der Gemeinderat gilt als unattraktiv – viele, die das Amt bereits einmal innehatten, möchten es kein zweites Mal übernehmen.

Ein besonders drastisches Beispiel lieferte Embd VS: Dort wurden im Herbst 2024 gleich vier Personen in den Gemeinderat gewählt, ohne je kandidiert zu haben. Der Fall wurde von SRF im Februar öffentlich gemacht. Die Betroffenen mussten sich fügen – freiwillig war die Entscheidung in keinem Fall.

Amtszwang im Gemeindegesetz verankert

Wer in einem Kanton mit Amtszwang gewählt wird, muss das Amt antreten – ausser es liegt ein gesetzlich anerkannter Ablehnungsgrund vor. Im Kanton Zürich sind diese in § 29 Abs. 3 des Gemeindegesetzes (GPR) festgehalten: Dazu zählen etwa ein Wohnsitz ausserhalb der Gemeinde, das Erreichen des 60. Lebensjahrs, die Ausübung eines anderen Gemeindeamts, zwei Amtsdauern in Folge oder wichtige persönliche Gründe, etwa gesundheitlicher Natur. Wird keiner dieser Gründe anerkannt, ist der Amtsantritt verpflichtend.

In anderen Kantonen gelten ähnliche Regelungen – teils mit härteren Sanktionen. So droht im Kanton Uri bei einer Weigerung eine Busse von bis zu 5000 Franken (§ 30 GPR). In einem dokumentierten Fall verlegten drei Gewählte nachträglich ihren Wohnsitz in eine Nachbargemeinde, um dem Amtszwang zu entgehen. 

Kein Einzelfall, sondern ein strukturelles Problem

Die gesetzlichen Spielräume sind begrenzt, die gesellschaftliche Realität deutlich: Der politische Nachwuchs fehlt. Der Amtszwang, einst als Ausnahmeinstrument gedacht, wird zur Regel in vielen Gemeinden. Immer häufiger müssen Bürgerinnen und Bürger in Behördenfunktionen gezwungen werden – nicht aus Interesse, sondern weil sonst niemand da ist.

In den letzten zehn Jahren wurden laut Medienberichten mehr als zwei Dutzend Fälle öffentlich, in denen Menschen ohne Kandidatur ins Amt gewählt wurden – und sich nicht entziehen konnten. Die tatsächliche Zahl dürfte höher liegen.

mj
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